Dank innovativer Ingenieurbaukunst konnte die Neumühlebrücke in Lauperswil, ein wertvoller Vertreter aus der Pionierzeit des Eisenbetonbaus, sanft und diskret instandgesetzt werden. Bundesexperte Prof. Eugen Brühwiler gibt Auskunft.
Eugen Brühwiler, was war Ihr erster Eindruck von der Neumühlebrücke?
Ich sagte spontan: Wow, eine echte «Trouvaille»! Ich kenne ja sehr viele Brücken, gerade auch aus dem 19. Jahrhundert und dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Neumühlebrücke und ihre Bauart waren mir jedoch unbekannt, obwohl ich privat das Emmental gut kenne und sehr schätze.
Was macht die Neumühlebrücke so besonders?
Als Brückeningenieur faszinierte mich sofort die kräftige Erscheinung des Brückenbalkens mit dem polygonalen und in Bezug auf die Flussmitte symmetrisch gespiegelten Linienzug, der sich aus den statischen Erfordernissen begründet. Die Statik führt so zu einer weitgehend optimierten Form des Brückentragwerks, was ein angenehmes Erscheinungsbild mit passenden Proportionen ergibt – bei einer für den damaligen Eisenbeton mutigen Mittelspannweite von 40 Metern! Der hoch über der Emme schwebende, massive Brückenbalken wirkt dennoch schlank und kühn.
Eine besondere Qualität stellen die verputzten Aussenflächen der beiden Tragbalken dar mit dem dekorativen, spitzgiebligen Blend-Arkaden-Dekor im damals vorherrschenden Heimatstil, das mit einem kräftigen Gesims nach oben abgeschlossen wird.
Welche Massnahmen wurden getroffen, um die Stabilität der Brücke zu erhalten?
Wir folgten dem Grundsatz, die technische Leistungsfähigkeit der Brücke mit dem innovativen Baustoff Ultra-Hochleistungs-Faserbeton, kurz UHFB, für heutige Nutzungsbedürfnisse zu ertüchtigen. UHFB ist ein zementgebundener Verbundbaustoff, der mit extrem vielen kurzen, schlanken Stahlfasern angereichert ist. Dies macht ihn hochfest und verformungsfähig. UHFB wurde – für Laien nicht sichtbar – gezielt eingesetzt. Beispielsweise konnten die beiden durch Bewehrungskorrosion stark beschädigten Untergurte der Tragbalken über der Emme mit UHFB instandgesetzt und verstärkt werden. Die anspruchsvolle Baumethode wurde von der Baufirma tadellos ausgeführt.
Kam der Baustoff UHFB bereits auf anderen Brücken zum Einsatz?
Ja, die UHFB-Technologie für die Bauwerkserhaltung wurde seit 1999 an der ETH Lausanne (EPFL) entwickelt und ist seit 20 Jahren in die Schweizer Baupraxis (und nun seit wenigen Jahren stark zunehmend auch weltweit) im Einsatz. Dabei wurden, neben mehreren denkmalgeschützten Brücken, auch zahlreiche kleine und grosse Brücken der Autobahnen und auf wichtigen Bahnlinien mit UHFB instandgesetzt und verstärkt. Ein Aushängeschild ist das 2,1 Kilometer lange Chillon-Autobahnviadukt von 1969, ein Baudenkmal von nationalem Wert, entlang des Genfersees bei Montreux, das vor 10 Jahren mit UHFB verstärkt wurde und damals weltweite Beachtung fand.
Was ist jetzt zu tun, wie sieht ein optimaler Brückenunterhalt aus?
Auch für Brücken gilt: Vorbeugen ist besser als heilen… und zudem deutlich kostengünstiger! Eine gezielte Überwachung der Brücke mit einem präventiven Unterhalt, mit welchem Wasser und Tausalze kontrolliert und schnell von der Brücke weggeführt werden, ist entscheidend, um Schäden und damit kurative Eingriffe zu vermeiden. Falls dennoch Schädigungsprozesse zugelassen werden, dann hat deren Instandsetzung bekannterweise bedeutende Kostenfolgen, die entsprechend eingeplant werden müss(t)en.
Welche «lessons learned» gibt es, anwendbar für andere Brücken/Bauwerke?
Der Fall der Neumühlebrücke zeigt leider wieder einmal, dass die gängige Ingenieurpraxis generell auf dem Gebiet der Bauwerkserhaltung ungenügend und mangelhaft ist. Dies hat mit der ungenügenden Aus- und Weiterbildung der Ingenieure zu tun.
Die Rettung der Neumühlebrücke ist, dank der Denkmalpflege, ein Glücksfall, der zu einem Vorbild für die allgemeine Bauwerkserhaltung wird. Denn die verwendeten Ingenieurideen und -techniken sind heute selbstverständlich (und wurden bereits) auch auf die Dutzendbauwerke angewendet. Dabei können enorme Ressourcen eingespart werden.
… ein Fazit?
Die Neumühlebrücke ist ein sehr origineller und wertvoller Vertreter aus der Pionierzeit des Eisenbetonbaus, der mit innovativer Ingenieurbaukunst sanft und diskret instandgesetzt wurde. Dadurch befindet sich die Brückenkonstruktion weiterhin weitgehend im Originalzustand. Die Neumühlebrücke weist sehr hohe baukulturelle Werte auf, insbesondere aus der Sicht des Brückenbaus. Ich bin sehr stolz, dass ich – zusammen mit Fachkolleginnen und -kollegen und Baufirmen – zur Erhaltung dieses für die Ingenieurbaukunst wichtigen Bauwerks beitragen durfte!
Eugen Brühwiler, Dr. dipl. Bauingenieur ETH/SIA, Professor Emeritus ETH Lausanne (EPFL), ist als beratender Ingenieur und Experte im Brückenbau und für die Schweizer Denkmalpflege tätig.