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Denkmalpflegepreis 2023: Neuer Wohnraum im historischen Ensemble

Bei der Projektierung eines Wohnhaus-Neubaus im ehemaligen Färbereiareal in Wangen an der Aare liess sich die Bauherrschaft in einem Workshopverfahren von einem Team begleiten. Der Denkmalpflegepreis des Kantons Bern würdigt das leidenschaftliche Engagement von Andrea und Peter Rikli für das Ortsbild und den öffentlichen Raum. Der Spezialpreis 2023 geht an die Mietergemeinschaft der Hammerschmiede Worblaufen.

In der Rotfarbgasse geht es bunt zu und her: Auf dem Weg vom Städtchen zum Schulareal sind Kinder unterwegs und rote Farbtupfer säumen die Gasse – die Markisen eines grün gestrichenen Neubaus. Sie machen dem Namen des «Rotfarb»-Quartiers alle Ehre. Obwohl seit Ende des 19. Jahrhunderts hier keine Garne und Tücher mehr gefärbt werden, ist in der Gasse der Geist des frühindustriellen Gewerbebetriebs spürbar. Die heutige gepflegte Wohnlichkeit der Rotfarbgasse ist dem Engagement von Andrea und Peter Rikli zu verdanken. Das Paar kaufte 2019 das vernachlässigte ehemalige Wohnhaus der Färberfamilie Rikli, mit dem Ziel, es zu renovieren. Zusätzlicher qualitätvoller Wohnraum sollte durch einen Neubau im zugehörigen Garten entstehen. Als erfahrener Holzbauer nahm Peter Rikli zusammen mit seiner Partnerin die Planung selbst an die Hand.

Weiterentwicklung und Verdichtung im Bestand

Das Städtchen Wangen an der Aare ist im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) verzeichnet. Für die Denkmalpflege sind das Streben nach innerer Verdichtung und das damit verbundene Eingliedern von Neubauten in den historischen Bestand aktuelle und zentrale Themen. In der Praxis bewähren sich für derartige Planungsprojekte qualitätssichernde Verfahren, in denen Vertreterinnen und Vertreter aller involvierten Bereiche mit unabhängigen Experten zusammenarbeiten. Der zuständige Mitarbeiter der Denkmalpflege schlug Andrea und Peter Rikli deshalb als Minimalvariante ein Workshopverfahren vor: In mehreren Workshops – eine Art «Runder Tisch» – wurde das Projekt von der Bauherrschaft, die gleichzeitig als Planerin agierte, gemeinsam mit einer Begleitgruppe entwickelt. Die Begleitgruppe setzte sich aus Vertretern der Gemeinde und der Denkmalpflege sowie zwei unabhängigen Architekten als Fachexperten zusammen.

Teamarbeit am Ortsbild

Ausgehend vom Bestand mit der prägenden Rotfarbgasse und den klassizistischen Bauten wurden die Position, das Volumen, die Dachform und am Schluss die Farbgebung des Neubaus im Team bestimmt. Die Gruppe erarbeitete einen dreigeschossigen, parallel zur Gasse positionierten Baukörper mit Satteldach und einen flachgedeckten Annex im rückwärtigen Raum. Als zentrales Entwurfsinstrument und zur gemeinsamen Verständigung diente ein Modell. Die Offenheit der Bauherrschaft und die gute Zusammenarbeit im Team motivierte alle Beteiligten enorm und brachte ein überdurchschnittliches Resultat hervor – bestechend einfach und in allen Details durchdacht. Trotz Mehrkosten wurde auch die Einfriedung entlang der Gasse restauriert und ein neuer öffentlicher Sitzplatz mit Zugang zum Mülibach entstand – ein zusätzlicher Gewinn für das Ortsbild und für alle, die in der Rotfarbgasse unterwegs sind.

Spezialpreis 2023: Engagement der Mietergemeinschaft der Hammerschmiede Worblaufen

Anders als der Hauptpreis, der an die Bauherrschaft eines Baudenkmals mit Alltagsnutzung vergeben wird, richtet der Spezialpreis der Fachkommission für Denkmalpflege das Augenmerk generell auf die beispielhafte Restaurierung eines bedeutsamen Baudenkmals. 2023 geht die Auszeichnung an die Mietgemeinschaft der Hammerschmiede Worblaufen. Die kreative Gruppe engagiert sich mit viel Herzblut für die Nutzung und Weiterentwicklung des historischen Gewerbeortes. Im ältesten Teil der weitläufigen Hallen steht eine industriegeschichtliche Rarität: eine Hammeranlage mit eichernem Wellbaum und drei wassergetriebenen Schwanzhämmern aus dem 19. Jahrhundert. Aktuell stehen diese zwar still, die Anlage ist aber nahezu funktionstüchtig und zeugt von der Entwicklung des Schmiedehandwerks an diesem Standort.

Arbeitsgruppe stellt wichtige Weichen

Dass die Werkhallen und die historische Hammerschmiede bis heute erhalten geblieben sind, ist nicht selbstverständlich. Nach der Stilllegung der Hammerwerke R. Müller AG erwarb 2016 die Halter AG das ehemalige Industriequartier, um auf dem weitläufigen Gelände eine Wohnüberbauung zu realisieren – ein Teil der alten Werkhallen wurde abgebrochen. Um die ältesten Hallen und die historische Hammerschmiede zu erhalten, setzte sich eine breit abgestützte Arbeitsgruppe intensiv mit möglichen Szenarien auseinander und stellte wichtige Weichen: Auf Grundlage eines Konzepts für die Nutzung und Weiterentwicklung des Areals suchte man eine neue Eigentümerschaft. 2018 übernahm das Unternehmen equimo AG der Stiftung Edith Maryon das Areal.

Sanfte Sanierung, lebendiger Werkplatz

Die in Basel beheimatete Stiftung setzt sich dafür ein, historische Gebäude gemeinsam mit den Mieterinnen und Mietern zu verträglichen, sozialen und lebendigen Nutzungen weiterzuentwickeln. In diesem Sinn wird das Gewerbeareal in Worblaufen mit Rücksicht auf Bestehendes schrittweise und mit Konzentration auf die wichtigsten Massnahmen saniert. Die Mieterinnen und Mieter nehmen bei der Weiterentwicklung des Areals Einfluss und legen bei den Sanierungsarbeiten auch selber Hand an. Der lebendige Werkplatz an der Aare und die hier angebotenen Workshops geniessen inzwischen eine gewisse Bekanntheit. Eine weitere Attraktion ist bereits geplant: Die historische Hammeranlage soll in Gang gesetzt und unter der Obhut eines Vereins der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Preisverleihungen im kleinen Rahmen, Veranstaltungen für die Öffentlichkeit

Die Übergabe der Urkunden findet in Wangen an der Aare und in Worblaufen in kleinem Rahmen für geladene Gäste direkt vor Ort statt. Die preisgekrönten Objekte können jedoch besichtigt werden: In Wangen an der Aare wird die Rotfarbgasse am 3. Juni von 14–16 Uhr zum Treffpunkt für alle Interessierten. Die Hammerschmiede in Worblaufen kann im Rahmen der Europäischen Tage des Denkmals am 10. September 2023 besucht werden.

Den Entscheid für die grüne Fassade mit den roten Markisen fällte man gemeinsam am Rohbau. La décision de faire une façade verte avec des stores rouges a été prise en commun, sur le gros-œuvre (Foto: Dominique Plüss).
Die Mietergemeinschaft der Hammerschmiede, vertreten durch GAMelle und Benjamin Blaser, erhält den Spezialpreis 2023 Le Prix spécial 2023 est décerné à la communauté des locataires, représentée par GAMelle et Benjamin Blaser (Foto: Dominique Plüss).

OFFEN FÜR ALLE

Wangen an der Aare: Treffpunkt Rotfarbgasse am Samstag 3. Juni 2023, 14–16 Uhr

Die Premiere eines Kurzfilms über die Projektierung des Wohnhaus-Neubaus im ehemaligen Färbereiareal wird gefeiert, Andrea und Peter Rikli stellen das neue grüne Haus vor und in der Baustelle an der Rotfarbgasse 3 präsentieren die Fachexperten das Modell und die Planung.

Worblaufen: Tag der offenen Tür in der Hammerschmiede am Samstag, 9. September von 11–17 Uhr

Im Rahmen der Europäischen Tage des Denkmals öffnet die Mietgemeinschaft ihre Werkstätten und Ateliers und bietet spannende Einblicke in die Geschichte und die Arbeit in den Hammerwerken. Das Detail-Programm steht ab Mitte Juli im Internet parat.

Denkmalpflegepreis und Spezialpreis

Die Denkmalpflege und die Fachkommission für Denkmalpflege des Kantons Bern vergeben den Denkmalpflegepreis gemeinsam mit der Fachzeitschrift «UMBAUEN+RENOVIEREN» als Medienpartnerin seit 2010 an eine Bauherrschaft, die in Zusammenarbeit mit der Fachstelle ein Baudenkmal mit Alltagsnutzung sorgfältig restauriert und nach den eigenen Bedürfnissen weiterentwickelt hat. Der Spezialpreis wird seit 2014 vergeben, er richtet das Augenmerk generell auf die beispielhafte Restaurierung eines bedeutsamen Baudenkmals.

  • Weitere Informationen: www.be.ch/denkmalpflege

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