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Musik und Gerechtigkeit

Der singende Knochen – das tönt nicht gerade nach einem Weihnachtslied. Trotzdem kann die musikalische Ausdeutung dieses Märchens zu einem Adventserlebnis werden. Bühnen Bern haben alles gegeben, was sie musikalisch zu bieten haben: grosses Orchester, Fernorchester, den erweiterten Opernchor und herausragende Ensemblemitglieder. Diese Hundertschaft errichtete zusammen mit dem Dirigenten Yoel Gamzou aus dem Opus 1 des 19-jährigen Gustav Mahler, dem «Klagenden Lied», einen weitläufigen, überwältigenden Musikpalast, der trotz seiner Opulenz am Schluss als ein grosses Ganzes lesbar blieb und sich als einzigartiges Hörerlebnis einprägen wird.

Auf dem Nachhauseweg ging mir ein Satz von Jack Kerouac durch den Kopf: «Die einzige Wahrheit ist die Musik». «Der singende Knochen», ein Märchen der Brüder Grimm, diente dem jungen Mahler als eine der Inspirationsquellen für sein erstes grosses symphonisches Werk. Ein lustiger Spielmann findet einen Knochen, den er zur Flöte schnitzt. Die Schönheit des Spiels ist jedoch umflort von tiefer Traurigkeit. Schliesslich bringt sie die Geschichte eines Brudermordes an den Tag. Die Musik offenbart die Wahrheit und stellt Gerechtigkeit her.

Liegt darin ein Aspekt der ausgeprägten Sehnsucht nach Musik in der dunklen Zeit des zu Ende gehenden Jahres? Diesmal für viele Menschen dunkler als in anderen Jahren. In den gut besuchten Dezember-Konzerten dient die Musik nicht dem Zeitvertreib. Gerade an Zeit fehlt es im Jahresendspurt ja vielen. Die Musik kann das Chaos ordnen, in uns Ruhe und Klarheit herstellen. Möge sie doch auch, wie in Mahlers Märchen-Kantate, wieder Gerechtigkeit herstellen.

Hans Ulrich Glarner, Vorsteher Amt für Kultur des Kantons Bern

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