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Fernsicht

Es ist wie ein Föhnfenster am frühen Morgen, das uns über die hohen Berge ins Gegenlicht blicken und eine lichte Weite erahnen lässt. Wenn am Nebentisch auf dem Oberbühlchnubel französisch parliert wird. Wenn das komplett zweisprachige Programmheft des Menuhin-Festivals vor uns liegt. Wenn im Stadttheater Biel/Bienne die Übertitelung einer italienischen Oper auf Deutsch und Französisch erscheint. Wenn im Restaurant de la Gare in Moutier jemand auf Deutsch bestellt und das Richtige bekommt. Oder wenn in den Classes bilingues im Marzili Französisch und Deutsch auch auf dem Pausenplatz durcheinanderpurzeln. Dann freue ich mich jedes Mal, in einem Kanton zu leben, in dem sich zwei Weltsprachen überlappen. Das gibt Fernsicht.

Die Zweisprachigkeit hat in Geschichte und Gegenwart des Kantons Bern tiefe Wurzeln und wirkt als Aphrodisiakum für die Kultur. Wo sich Sprachen begegnen, kann Bestehendes in anderem Licht erscheinen, kann Neues entstehen, begegnen sich Menschen mit unterschiedlichem Habitus. Doch ist das kein gesicherter Zustand. Nationalistisch instrumentalisiert, kann die Sprachenvielfalt zum Gegenteil verkümmern. Die Ausprägungen reichen dann von Ausgrenzung bis hin zu Hass und Gewalt. Wie für die Schweiz als Ganzes ist die Mehrsprachigkeit deshalb für den Kanton Bern ein hohes Gut, das es zu pflegen und zu fördern gilt. Der Regierungsrat hat das Amt für Kultur beauftragt, einen Prix du bilinguisme zu kreieren und auszuloben. Der Preis ist mit 20’000 Franken dotiert. Mit dem Preis wird das Bewusstsein für die kulturelle Bereicherung durch die Zweisprachigkeit gestärkt und ihre Ausstrahlung sowohl in die Suisse romande als auch in die Deutschschweiz unterstützt. Die Nominierung der möglichen Preisträgerinnen und Preisträger erfolgt in einem partizipativen Verfahren. Bis 15. Mai können Sie Vorschläge einreichen.

Das Föhnfenster ist ein meteorologisches Phänomen, unbeeinflussbar und von kurzer Dauer. Wenn wir nach der zufälligen Wahrnehmung unsere Augen erneut zu den Bergen aufheben, sehen wir diese vielleicht bloss noch schemenhaft. Anders die Zweisprachigkeit: niederschwellig angewendet, lustvoll ausprobiert und laufend weiterentwickelt, stimuliert sie dauerhaft unsere kulturelle Landschaft und unser tägliches Zusammenleben.

Hans Ulrich Glarner, Vorsteher Amt für Kultur

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