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Im Lot

Es prickelt, wärmt das Herz, macht auch mal Seufzen. Kennen Sie das Gefühl, wenn einem auf dem Weg – sagen wir, durchs Emmental – von Dorf zu Dorf immer noch schönere Bauernhäuser, Spycher und Gebäudeensembles begegnen? Da brauchte es weder sensible noch historisch geschulte Antennen, um festzustellen: Das ist schön. Das tut gut. Es berührt und gibt Bodenhaftung. Denn Geschichte und Gegenwart halten sich die Balance. Wortlos, aber sprechend.

Wäre der Kanton Bern so reich wie sein baukulturelles Erbe, dann könnte sich die Finanzdirektion zurücklehnen, tiefenentspannt. Doch das reiche Erbe, das sich mit Bauten, Baugruppen und Ortsbildern über das gesamte Kantonsgebiet erstreckt, ist zwar ein prächtiges Geschenk aus der Vergangenheit. Aber es ist auch eine grosse Verantwortung, die jede Generation an die nächste weiterreicht. Und für jede Generation ist es eine neue Herausforderung – in ihrem jeweiligen Kontext, mit ihren Bedürfnissen und Vorstellungen von «wichtig und wertvoll» – auszutarieren, was vom Bisherigen mit in die Zukunft soll. Sicher ist nur: Was weg ist, ist weg. Für immer.

So verbindend und oft selbstverständlich wir alle erfassen, es spüren, wenn ein Ortsbild oder ein Gebäude aus der Vergangenheit mit der Gegenwart «im Lot» ist, so unwegsam und unsicher ist der Weg dorthin. Es braucht Jahrzehnte, teils Jahrhunderte der Pflege; es braucht stetig neue Entscheide fürs Erhalten und Weiterentwickeln. Und es braucht vor allem auch immer wieder: das richtige Handwerk, Geld, Zeit und die Bereitschaft, neben den eigenen, gegenwärtigen Bedürfnissen auch die vorangehende und nächste Generation mitzudenken.

Ist es bei diesen vielseitigen, teils auch widersprüchlichen Anforderungen verwunderlich, dass uns alle der Weg ins baukulturelle Erbe von morgen herausfordert? Zum einen die aktuellen Besitzerinnen und Besitzer – sei es als Privatpersonen, Betriebe oder öffentliche Körperschaften. Zum anderen die Fachpersonen – sei es in den Gemeinden, Architektur- und Planungsbüros, Handwerksbetriebe oder, im Amt für Kultur, in der Denkmalpflege.

Es lohnt sich sehr, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Das wird mir, je länger ich das Glück habe, mich beruflich auch mit Fragen zur Baukultur zu beschäftigen, bewusst. Es lohnt sich, weil es uns Gegenwärtigen nicht nur warm ums Herz wird und wir gelegentlich seufzen, wenn die gebaute Welt um uns im Lot ist. Sondern weil wir gemeinsam verantworten, was wir denjenigen nach uns hinterlassen.

Und je häufiger ich seufze, umso mehr wundere ich mich, dass wir nicht viel häufiger über diese realen Herausforderungen und immensen Chancen reden. Denken wir also darüber nach, wie wir gemeinsam in den Dialog kommen können.

Sibylle Birrer, Vorsteherin Amt für Kultur des Kantons Bern

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