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Wege und Spuren

Eine leichte Delle im Unterholz, ein angedeuteter Damm, Reste einer Bruchsteinmauer, mit Unkraut überwachsene Bahntrassen, ein Strassenname, der zur Geschichtsquelle wird. Mit Leidenschaft gehe ich Spuren alter Wege nach. Sie erzählen Geschichten, die oft sehr weit zurückreichen und Zeugen des Wandels sind. Historischen Verkehrswegen zu folgen, heisst nicht bloss den Raum zu erkunden, sondern auch Zeitreisen zu machen.

Bevor ich vor gut 10 Jahren die Stelle eines Amts antrat, das die Kulturförderung und die Kulturpflege umfasst, fuhr ich während eines Monats per Velo quer durch das grosse Kantonsgebiet. Ich hielt gezielt Ausschau nach Wegen, die zu unterschiedlichen Zeiten den Kultur-, Wissens- und Güteraustausch ermöglichten. Ich keuchte den Alten Aargauerstalden hoch, kreuzte den römischen Durchschlag des Col de Pierre Pertuis, fuhr auf den alten Ortsverbindungsstrassen im Simmental und erhielt dadurch einen komplett anderen Blick auf die Siedlungslandschaft, liess mich zwischen Mittelland und Emmental durch die Wyniger Berge treiben oder fuhr auf Zickzackwegen durch die Industriegebiete von Biel/Bienne. Ich war herausgefordert, zu meinen Kenntnissen des Kantons, den ich im Spiegel seiner Kulturschaffenden und Kulturdenkmäler kannte und die durch Jugenderinnerungen geprägt waren, einen handfesten Bezug zu entwickeln.

Am Abend beugte ich mich über einen grossen Papierbogen und zeichnete aus dem Kopf die Tagesroute nach, versuchte, die Gewässer zu orten, trug markante Siedlungen ein und hielt Beobachtungen und Begegnungen fest. So entstand, täglich wachsend, ein persönliches Schnittmuster dieses Kantons. Ich verinnerlichte, was mir vorher abseits der Hauptrouten und Zentren Terra incognita war. Am Ende dieses Monats waren Kopf und Herz gefüllt und der Kreislauf gestärkt. Und beim Antrittsbesuch in der Bildungs- und Kulturkommission des Grossen Rates konnte ich mir vorstellen, in welchem Gasthaus in Unterlangenegg das einzelne Mitglied seinen Frühschoppen trinkt, in Meiringen ins Konzert oder in Tramelan ins Kino geht. Ich war angekommen.

Was dann folgte, waren 10 Jahre, in denen es galt, Wege möglichst rasch hinter mich zu bringen, um dem weitläufigen Aufgabengebiet gerecht zu werden. Prägend waren nun die Kopfreisen, die mir das Berner Kulturschaffen ermöglichte. Der Raum zwischen Grimsel und La Ferrière, Saanen und Roggwil wurde dadurch in einen Weltzusammenhang gestellt. Die Verknüpfungen, die Kulturschaffen und Kulturpflege herstellten, legten ein Netz weit über die Kantonsgrenzen hinaus. Es gab dem bernischen Schnittmuster, das ich mir am Vorabend des Stellenantritts zurechtgelegt hatte, eine ausufernde Weite und ungeahnte Tiefenschärfe. Und rückte es vielerorts zurecht.

Als Stoff, der diese ganze Vielfalt zusammenhält, nehme ich eine ausgeprägte Teilhabe der Bevölkerung wahr. Nicht nur das Publikumsinteresse ist riesig, auch die Bereitschaft, sich zu engagieren, mitzuhelfen, mitzudenken. Es wird eine Konstante der Kulturförderung und der Kulturpflege bleiben, diese Zugänge weit offen zu halten und zu fördern, um Kunst und Kultur in ihrer Weite und Tiefe für möglichst viele Menschen erfahrbar zu machen.

Nach 75 Editorials verabschiede ich mich mit einem grossen Merci von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, und lege meine Aufgaben vertrauensvoll in die Hände meiner Nachfolgerin Sibylle Birrer und eines unübertrefflichen Kreativteams von rund 200 Mitarbeitenden des Amtes für Kultur des Kantons Bern.

Hans Ulrich Glarner, Vorsteher Amt für Kultur

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